News - Neues aus der Welt der Alterssimulation

: 20 Jahre SD&C - 40 Jahre Ergonomie

Dr. Roland Schoeffel, Gründer von SD&C

Irgendwann muss alles einmal ein Ende haben, und das gilt auch für meine berufliche Tätigkeit im Bereich der Ergonomie. Mit einem Vortrag bei MED-EL in Innsbruck verabschiedete ich mich im November von der Beratungstätigkeit und beendete die Ausübung meines Berufes. Das verdient ein kurzes Resume, obwohl es nicht leicht ist, über die vielen Dutzend Projekte während der 40 Jahre Berufstätigkeit kurz zusammenfassend etwas zu sagen.

Als ich im Alter von 30 Jahren ins Berufsleben einstieg, bekam ich meinen ersten Job als gerade fertig studierter Psychologe in der Abteilung Ergonomie des Schifffahrtmedizinischen Instituts der Marine. Hier sollte ich sollte fortan für „psychologische Ergonomie“ zuständig sein. Für die meisten war Ergonomie das Spezialgebiet eines Ingenieurs oder ein Zusatzgebiet für einen Designer, aber mit der Computerisierung zogen gerade neue Notwendigkeiten auf. Um das geistige Rüstzeug für ein erfolgreiches Wirken auf diesem Gebiet zu haben, stimmte ich mit meinem Chef, dem Diplom-Psychologen Regierungsdirektor Josef Herget (+) ab, noch Anthropologie und Informatik zu studieren und dann in Naturwissenschaften zu promovieren. So wurde ich vermutlich der Erste, der vom Vorwissen her für psychologische Ergonomie eine vertiefte Vorbereitung hatte.

Ich vermochte dann auch für die Marine recht nützlich zu sein und bekam schnell eine Festanstellung. Ich konnte nicht nur anthropotechnische Bestuhlungsfehler aufdecken, die Ausbildung der Schiffsärzte der Marine um Taucher- und U-Bootpsychologie bereichern, mit speziellen Simulationstest den Radarbeobachtern und den Sonarbeobachtern zu besseren Arbeitsplätzen verhelfen, sondern ich konnte auch mit besseren Ausleseverfahren von Funkern eine Verkleinerung der Fernmeldeschulen ermöglichen (Was sehr viele Kosten einsparte und deswegen zu großer Freude führte). Ich hatte sogar bereits ein automatisiertes Eignungsausleseverfahren entwickelt, das ich dem Psychologischen Dienst der Bundeswehr dann aber nicht mehr vorstellte, als Siemens mich abgeworben hatte. Auch Koblenz, Fürstenfeldbruck, sowie die Schule für Seeschifffahrt in Bremen und Hamburg hätten mich damals gerne gehabt, aber ich stieg aus dem Beamtenverhältnis als Oberregierungsrat aus.

Meine Doktorarbeit zum Thema Wachsysteme hatte dann noch einen späten Erfolg. 25 Jahre nach der Fertigstellung bekam ich einen Anruf vom Battelle-Institut, man hätte das Ergebnis replizieren können und die Marine würde mein Wachsystem jetzt bei den neuen Fregatten einführen (Dort ersetzt es ein Dreier-Wachsystem und bewirkt so eine Einsparung von vielen Millionen Euro an Personalkosten).

Was ich besonders gut konnte war, den Kern einer Problematik aufzudecken und die Machbarkeit der Weiterentwicklung von Bedienoberflächen einzuschätzen, also die Zukunftsaussichten von Technologien richtig vorhersagen.

Bei Siemens erwarteten mich zunächst scheinbar überraschend einfache Aufgaben. Von den komplexen Operationszentralen der Kriegsschiffe wechselte ich zu den einfach aussehenden Bedienoberflächen von Kühlschränken und Kassenautomaten. Doch Kassenautomaten für Krankenhäuser und die gesamte Palette der Hausgeräte für 100% der internationalen Nutzer bedienbar zu machen, erwies sich ebenso als Herausforderung. Nutzer sollten möglichst ohne Ausbildung spontan und intuitiv ein neues und fremdes Gerät beherrschen können, und das zu realisieren war nicht ganz leicht. Es kamen dann doch noch einige anspruchsvollere Bedienoberflächen dazu, so die Bedienoberflächen für das Patriot-Raketenabwehrsystem und für Postsortiermaschinen. Beim ICE wurde die Ergonomie dann leider für die Fahrgastzellen ganz eingespart und nur für die Lokführerkanzel gab es ein kleines Ergonomie-Budget.

Über fast 25 Jahre arbeitete ich ehrenamtlich für die Normung. Zuerst diente ich meinem Chef Josef Herget nur als Übersetzer bei Normungssitzungen der EU in London und Paris, später dann war ich selbst der verantwortliche deutsche DIN-Delegierte für ein Teilgebiet der Ergonomie. In London stimmte dann eines Tages eine Mehrheit von 21 Ländervertretern dafür, mich zum Convener einer Norm für die Usability von einfachen Geräten zu machen (ISO 20282), und über einen Zeitraum von 7 Jahren war ich dann maßgeblich für die Entwicklung der entsprechenden Norm und leitete die Sitzungen rund um die Welt. Die Norm war für Siemens sehr nützlich und zeigte, dass bei Einhaltung von bestimmten Regeln Industrieprodukte rund um die Welt von jedermann genutzt werden können, während die Differenzen der Menschen im Geschmack, im Lebensstil und in Glaubens- und Religionsfragen sich einer Standardisierung entziehen und auf ihre Art respektiert sein wollen (Wir erleben heute in der Politik, dass eine globalisierte Welt genau hier ihre Grenzen hat).

Im Zuge der Arbeiten für die Hausgeräte wurde von meinem Auftraggeber Matthias Lohrum (+) bei der BSHG der Bedarf entdeckt, die riesige und immer größer werdende Gruppe der Älteren bei der Gestaltung zu beachten. Und hier schafften wir dann einen ersten Alterssimulationsanzug an, der damals noch sehr unspezialisiert, aber doch schon nützlich, war.

Diesen Anzug nahm ich 2002 mit, als ich SD&C gründete. Die ersten Aufgaben mit der eigenen Beratungsfirma galten dann der Fortsetzung von Aufgaben für Siemens, dann rutschte der Fokus zunehmend zur Ergonomie für Ältere. Hier gab es Beratungstätigkeit für die Automobilindustrie, die Verpackungsindustrie, Hörgerätehersteller, Immobilienhersteller, die Flugzeugbranche, die Tourismusindustrie, die Politik, und viele andere mehr. Den Automobilherstellern empfahl ich wegen der speziellen Defizite der Älteren bereits 2007 den Einbau von Rückfahrkameras und sagte ihnen das Kommen von großen Digitaldisplays im Sehfeld des Fahrers voraus (was damals die Ergonomie-Studenten der Uni München nicht glauben wollten). In der Verpackungsindustrie konnten von mir bei verschiedenen Firmen die Maßgeblichen von der Notwendigkeit überzeugt werden, Aufreißecken bereitzustellen und zu markieren, und die Hersteller von Milchtüten konnten nach feuchten Selbsterfahrungen im Simulationsanzug von mir dazu bewegt werden, Schraubverschlüsse bereitzustellen. Bei meiner ersten Beratung für einen Hörgerätehersteller waren die Hörgeräte noch hässliche fleischfarbene Knubbel ohne Einstellmöglichkeiten, aber nach meiner Beratung machten diese enorme Fortschritte auf dem von mir vorgezeichneten Weg.

Während ich in der Industrie erfolgreich ergonomische Veränderungen einbringen konnte, fand ich in der Politik nur wenig Gehör. Der Politik versuchte ich nahezubringen, dass ein höheres Rentenalter für viele Berufsgruppen (wie Dachdecker, Feuerwehrleute, Polizisten) nicht machbar ist, während in den Wissenschaften und in der Produktion das Erfahrungswissen der Älteren nicht vorschnell zugunsten einer bloßen Verjüngung der Belegschaft aufgegeben werden sollte. In der Verkehrspolitik lässt die für ältere Autofahrer wichtige Verlängerung der Ampel-Gelbphasen immer noch auf sich warten. Auch bleibt unverständlich, dass fürs Haareschneiden und Rasenmähen ein Meistergrad erforderlich ist, die Cockpits und komplexen Bedienoberflächen von Flugzeugen, Schiffen, Fahrzeugen und Atomkraftwerken aber ohne lizensierte Ergonomieprüfung in den Verkehr kommen dürfen.

Inzwischen nun, selbst gealtert, ist mein Hörvermögen schlechter geworden und ich benötige selbst Hörgeräte. Und nun profitiere ich indirekt von der eigenen Beratungstätigkeiten vor vielen Jahren und von hervorragend weiterentwickelten Hörgeraten. (Beispielsweise werden mir Telefonanrufe nun direkt ins Ohr weitergeleitet). Das ist schon ein sehr schönes Enderlebnis beruflicher Tätigkeit.

Soweit nun Ergonomieberatungen weiter bei SD&C angefragt werden, wird diese Frau Professor Dr. Dr. Elena Averboukh übernehmen. Die Firma SD&C wird ab dem 1.1.2023 von meinem Sohn Rene (M.S. in Bioinformatik) als GF fortgeführt werden und weiter Alterssimulationsanzüge entwickeln, verkaufen und vermieten. Ich bleibe vorerst als Prokurist im Hintergrund dabei.

M.Sc. Rene C. Schoeffel

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