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Alterssimulation als wissenschaftliche Methode

Ein Alterssimulationsanzug ist ein modernes Design-Werkzeug. Diese Seite erklärt das Einsatzspektrum.

SD&C Senior Suit Delta Abb. 1: Alterssimulationsanzug SD&C Senior Suit Delta 2.

Ein Alterssimulationsanzug oder auch kurz "Altersanzug" ist ein Ganzkörperanzug mit Simulationselementen, der Jüngeren das Erkunden der Lebensrealität der Älteren erlaubt. Die Alterssimulation liefert Erkenntnisse zum Umgang mit Produkten, wenn Beweglichkeit, Muskel- und Sehkraft geringer geworden sind, und schafft durch Selbsterfahrung für den Träger ein intuitives Verständnis, das mit Theorie allein nicht zu vermitteln wäre. Die Alterssimulation von SD&C wird deswegen inzwischen weltweit von Arbeitswissenschaftlern, Architekten, Produktdesignern, Ingenieuren, Marktforschern, Politikern, Ausbildern, Personalverantwortlichen und anderen mehr eingesetzt.

Arbeitswissenschaftler interessiert beispielsweise, wie sich die Einschränkungen des Alters zwischen 50 und 67 bei beruflichen Tätigkeiten auswirken. Die Alterssimulation hat hier schnell zutreffende Ergebnisse geliefert. Wurde die Alterssimulation beispielsweise eingesetzt, um nachzuweisen, dass Ältere doch besser nicht mehr Auto fahren sollten, klappte das Fahren im Altersanzug dann doch stets überraschend gut, und es zeigten sich nur sehr spezifische Probleme wie die Schwierigkeiten beim Rückwärtsfahren. Servolenkung, Servobremsen und Automatikgetriebe machen das Autofahren für viel Ältere tatsächlich leichter als das Selbergehen, und Studien zeigen, dass zumindest bis zum 75-sten Lebensjahr die Unfallhäufigkeit abnimmt [1].

Bei körperlich sehr beanspruchenden Berufen wie bei Dachdeckern, Fliesenlegern, Maurern, Feuerwehrleuten und Polizisten kommt es durch die Funktionsverringerung im Alter und durch Abnutzung allerdings zu Minderleistungen und Gefährdungen, und es ergibt sich die Frage, ob Ältere im Rahmen einer Job-Rotation nicht innerbetrieblich auf andere Tätigkeiten wechseln könnten. Die Alterssimulation hilft hier, solche Tätigkeiten mit Wechselbedarf frühzeitig zu identifizieren und bei jüngeren Zuständigen Verständnis für die Situation der Älteren zu schaffen. Der Altersanzug hilft Ingenieuren und Arbeitswissenschaftlern aber auch, die Brauchbarkeit von Arbeitsgestaltungen für Ältere einzuschätzen, ohne aufwändige Testreihen mit Älteren durchführen zu müssen. So haben Firmen Fertigungslinien mit mehreren Arbeitsplätzen, an denen Ältere arbeiten sollten, zunächst als Holzmodell aufgebaut und mit dem Altersanzug auf Problemzonen durchgetestet. Bei filigranen Montagearbeiten fielen Probleme auf und konnten rechtzeitig verändert werden. Im Hinblick darauf, dass ab etwa 2050 die Hälfte der deutschen Bevölkerung zwischen 50 und 100 Jahre alt sein wird, interessiert Architekten und Politiker, was die Alterseinschränkungen für die Stadt-, Gebäude- und Verkehrsgestaltung bedeutet. Für Blinde und für Rollstuhlfahrer gibt es Regeln zur barrierefreien Gestaltung, die auch Älteren nützen, doch auch wenn die Einschränkungen der Älteren weitgehend ermittelt sind und mit der ISO 20282 auch eine Norm zu deren Berücksichtigung existiert, so fehlt es doch noch überall an entsprechenden Umsetzungen [2]. Der deutsche Fernsehstar Guido Horn zeigte in einer öffentlichen Aktion im Rollstuhl mit dem Fernsehsender SAT.1 und Beteiligung von einem SD&C Altersanzug auf, dass es bei der Beschilderung und den Fahrkartenautomaten durchaus noch Gestaltungsbedarf gibt. Andere Aktionen zur Gebäudegestaltung zeigten Probleme bei der Beschriftung der Klingel- und Gegensprechanlagen, der Zugänglichkeit der Haustüren und Mängel bei einer für Ältere sicheren Beleuchtung. Bei der Innengestaltung von Wohnungen und Hotelzimmern erwiesen sich manche Einbauschränke als schwierig einsehbar, und manche Badewannen waren regelrechte Fallen für Ältere. Einige Fernsehermodelle in Hotels konnte keiner im Altersanzug einschalten. Etagenhäuser ohne Fahrstuhl erwiesen sich als großes Problem für alternde Bewohner. In mehreren Städten haben Bürgermeister und Stadträte Problemstellen mit dem Altersanzug von SD&C erkundet und bewertet, um Lösungen für Gefahrenstellen zu finden. Auf die Notwendigkeit, die Dauer der Ampelgelbphasen um eine Sekunde zu verlängern oder das Grün ab einer Sekunde vor dem Umschalten blinken zu lassen, um der verringerten Reaktionsgeschwindigkeit älterer Autofahrer im Straßenverkehr Rechnung zu tragen, wurde verwiesen [3]. Auch hier fehlt noch die Umsetzung.

Zwar sind die Älteren körperlich schwächer und weniger beweglich, doch dank des medizinischen Fortschritts nehmen sie heute rege am Leben teil. Keineswegs ist diese Gruppe nur in Altersheimen zu finden, die meisten sind als Rentner unterwegs, besuchen ihre Enkel, reisen, besuchen Konzerte, betätigen sich in Ehrenämtern und Stadträten, pflegen ihre Gärten, und basteln in ihren Häusern.

Marktforscher wissen, dass die meisten Luxusreisen von Älteren gebucht werden und Ältere auch diejenigen sind, die  die teuersten Autos und die hochwertigsten Produkte kaufen. Inzwischen haben auch Reiseveranstalter und Flugzeugbauer ihre Produkte mit dem Altersanzug von SD&C geprüft. Für die Automobilindustrie ist die Qualität der Alterssimulation dabei ein entscheidender Schrittmacher des Fortschritts, der Bedarf anzeigt und Innovationen generiert. Untersuchungen von SD&C in Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie zeigten sowohl bei PKWs wie auch bei LKWs diverse Problemzonen auf, für die nun Lösungen gesucht werden.

Die Siemens AG fand, dass Ältere keine Hausgeräte kaufen, wenn sie meinen, diese nicht bedienen zu können. Die Firma hat deswegen große Anstrengungen unternommen, in ihren Usability Labs die Fähigkeiten der Älteren zu erkunden, und es wurden in jahrelanger Arbeit Leitfäden dazu entwickelt, wie seniorengerechte Produkte beschaffen sein müssen. Die Bedienbarkeit der Siemens-Hausgeräte durch Ältere konnte so auf ein hohes Niveau angehoben werden, wie die Stiftung Warentest und internationale Verbraucherverbände bestätigten. Diese Leitfäden werden heute von der Firma SD&C gehütet, angewendet und weiterentwickelt.

In der Ergonomieabteilung der Siemens AG hat die Alterssimulation 1999 als „Instant Aging“ einen ihrer Anfänge erlebt, als Ingenieure und Designer von der Ergonomie für die Probleme der Älteren sensibilisiert wurden. Die alterssimulation hat sich dabei als hervorragendes Instrument zur Überzeugung von Führungskräften erwiesen, wenn diese im Anzug ihre eigenen Produkte nicht mehr nutzen konnten. Späteren Einsätzen des Altersanzuges bei leitenden Angestellten sind heute allgemein eingeführte Produktverbesserungen mit zu verdanken.

Einen weiteren Anfang hat die Alterssimulation bei der Ausbildung von Medizinstudenten, Kranken- und Altenpflegern genommen. Inzwischen ist das Selbsterleben des Altseins im Simulationsanzug ein Teil der Ausbildung an allen besseren Ausbildungszentren. Die jungen Krankenschwestern und Pfleger dürfen sich im Altersanzug auf ein Bett legen und müssen dann die Hilfsmittel der Umgebung greifen, den Notruf betätigen, dann aufstehen und mit Rollatoren gehen, Treppen bewältigen, Medikamente auspacken und sortieren. Das Lesen der Beschriftung der Medikamentenverpackungen und auch das Öffnen ist für die Älteren oft ein großes Problem. Zwar haben auch erste Pharmakonzerne Tests mit der Alterssimulation gemacht, aber die regelmäßig zu kleine Beschriftung der Beschreibung von Medikamenten wartet im Großen und Ganzen weiterhin auf eine altersgerechte Gestaltung.

Deutsches Patent zur Alterssimulation Abb. 2: Deutsches Patent von 2004 [4].

Das Einsatzspektrum der Alterssimulation in der Ausbildung endet hier jedoch keineswegs. Wegen der Bedeutung der demografischen Situation haben inzwischen auch bessere Hotels ihr Personal in einen Altersanzug gesteckt, um sie die Bedürfnisse der Älteren verstehen zu lassen. Und schließlich haben Versicherungen und Banken herausgefunden, dass die Alterssimulation ein einzigartiger Weg ist, junge Leute davon zu überzeugen, auch etwas Geld fürs Alter zurückzulegen.

 

Klassen der Alterssimulation

Nach einem ersten internationalen Treffen zur Alterssimulation in der Siemens Designabteilung 1999 gab es im Jahre 2002 ein japanischen Patent auf einen Altersanzug (siehe Abb. 3), und nach ersten öffentlichen Auftritt in München 2004 auch ein deutsches Patent (Abb. 2). Beide Patente waren Versuche, ein Gebiet patentrechtlich zu erobern und abzusichern, für das die Einsatzerfahrung damals aber noch fehlte. Beide Patente erwiesen sich denn auch als praxisfern und haben sich auf dem Markt nicht durchsetzen können. Inzwischen gibt es zwanzig verschiedene Altersanzüge auf der Welt, mehrere davon in Deutschland, aber viele sind nur Kopien der ersten Versuche. Die Grundidee erscheint leicht zu realisieren: Mit Folien versehene Brillen sorgten für schlechteres Sehen, Gewichtswesten aus dem Sportbedarf reduzierten die Kraft, orthopädische Manschetten die Beweglichkeit. Es zeigt sich aber, dass es zwar einfach ist, einen ersten Altersanzug zu bauen, dass einen guten Altersanzug herzustellen jedoch sehr schwierig ist. So könnte man heute alle vorhandenen Altersanzüge auch entlang einer Skala dazu anordnen, wie sehr sie eine realistische Alterssimulation vornehmen oder eine behelfsmäßige Zusammenstellung sind. Auf solch einer Skala der speziell für die Alterssimulation entwickelten Simulationsanzüge würde der SD&C Senior Suit Delta 2 als am weitesten entwickelter Altersanzug zu platzieren sein. 

Die Frage, was ein Altersanzug leisten soll, ergibt sich aus den zuvor berichteten Einsatzbereichen. SD&C unterscheidet die Leistungsklassen 1) Sensibilisierung (Alpha), 2) Ausbildung (Beta) und 3) Design (Delta). Diese Klassen erfordern unterschiedlich hohe Positionen auf der Spezialisierungsskala.

Die Senior Suit Alpha von SD&C dienen zur einfachen Sensibilisierung der Öffentlichkeit dahingehend, interessierten Personen die Einschränkungen zu verdeutlichen, die ihnen selbst im Alter bevorstehen. Hierbei spielt die quantitative Genauigkeit der Simulation keine große Rolle, wenn nur der Umfang und die Richtung stimmen. Bei SD&C wird allerdings darauf geachtet, dass die Intensität gedeckelt ist, d.h. dass nur der gesunde Alterungsprozess ohne Übertreibung simuliert wird, so dass niemand schockiert oder traumatisiert wird. Erblindung, Parkinsonzittern, völlig taube Finger oder Klumpfuß sind Erkrankungen, die nicht jeder zwangsläufig im Alter bekommt.

Solche und andere Erkrankungen mit zu simulieren kann aber im Rahmen einer medizinischen Ausbildung durchaus sinnvoll sein, und so gibt es entsprechende Ergänzungsangebote. Mit den Altersanzügen der Beta-Klasse von SD&C wird das Sehen und Hören für die Ausbildung genauer simuliert. Die Seh-Unschärfe wird hier mit einem hochklappbaren Visier über zwei Alterungsstufen von je 20 Jahren simuliert, die Höreinschränkung ist durch einen in der Lautstärke veränderlichen Rauschton-Tinnitus linear variabel einstellbar. Entfernbare Gewichte in der Weste erlauben neun Stufungen des Kraftverlustes, und die Gelenkmanschetten sind an variabel Stellen fest anlegbar.

Japanisches Patent zur Alterssimulation Abb. 3: Japanisches Patent von 2002.

Die Delta-Klasse erlaubt die Einstellbarkeit auch bei den Extremitätengewichten, die hier für jede Seite an den Armen und Beinen ebenfalls über neun Stufen einstellbar sind. Extremitätengewichte und Gelenkmanschetten sind bei diesem Modell durch ein mehrfaches Befestigungssystem replizierbar genau und durch zusätzliche Klettaufsätze sehr gut haltbar zu positionieren und fallen auch bei Schleuderbewegungen nicht ab. Für betriebsmedizinische und ergonomische Untersuchungen können Messgeräte wie EEGs, EKGs oder EMGs in Taschen am Anzug befestigt werden, und für die Kabel sind Durchführungsöffnungen vorhanden.

Neben der Unterscheidung der Altersanzüge entlang einer Spezialisierungsachse gibt es auch die Unterscheidung in modulare und integrale Altersanzüge. Ein modularer Altersanzug ist dadurch gekennzeichnet, dass die Simulationselemente alle einzeln am Körper aufgesetzt werden, während bei den integralen Simulatoren die die Kraft und Beweglichkeit reduzierenden Elemente in einen Ganzkörperanzug (Overall) eingebaut sind. Der Nachteil der integralen Anzüge ist, dass wegen der unterschiedlichen Körperproportionen die Simulationselemente leicht an den falschen Stellen zu liegen kommen. Der SD&C Senior Suit Delta 2 vereint allerdings die Vorteile der modularen und integralen Anzüge, denn einerseits können bei ihm die Simulationselemente genau richtig am Körper platziert werden, und andererseits gibt der Ganzkörperanzug durch sein Befestigungssystem den Simulationselementen einen Halt, wie sie ihn bei modularen Anzügen nicht haben können.

 

Genetische Alterung und ergonomische Leistungskurven

Der menschliche Körper besteht aus 220 verschiedenen Zellarten, die Organe wie die Muskulatur, Augen und Ohren bilden, deren ergonomisch relevante Leistung gemessen werden kann. Die Zellen und die Organe unterliegen dabei unterschiedlichen Alterungsprozessen. Manche Zellen werden alle paar Tage ersetzt, ganze Organe wachsen allenfalls teilweise nach. Während die Zellalterung einer genetischen Steuerung über das Leben folgt, hängt die Leistung eines Organs über das Lebensalter auch von Training und Abnutzung ab. Der durchschnittliche Leistungsverlauf der Augen, Ohren und der Muskulatur über das Alter ist bekannt, und die Alterssimulation beruht auf den bekannten Durchschnittsverläufen, wie sie z.B. in der ISO 20282 referenziert werden [2].

Die Alterssimulation mit den Anzügen von SD&C führt von einem Punkt dieser Leistungskurven über das Alter zu einem anderen auf der Kurve, der 20 oder 40 Jahre entfernt liegt (vgl. Abb. 4). Bei der Erkundung von Designproblemen reicht in den meisten Fällen eine Schätzung in den Schwankungsbereich der Zielpopulation hinein aus, um Probleme erkennbar zu machen, denn oft besteht die Lösung eines Problems darin, dass man eine Funktion automatisiert, womit genaue Werte unnötig sind. In anderen Fällen, wie bei der Ermittlung maximaler Regalhöhen für Ältere beispielsweise, wüsste man gern, wie hoch genau in Zentimetern wie viel Prozent der Bevölkerung in welchem Alter greifen können. In solchen Fällen kann man durch den Vortest mit einem Altersanzug notwendige von unnötigen Datenerhebungen unterscheiden und so Kosten sparen. Hier erweist sich dann auch klar der Wert eines hochwertigen Altersanzuges, der weder Probleme verharmlost noch sie maßlos übertreibt. Besonders vorteilhaft ist, dass man mit einem Altersanzug die Möglichkeit und Machbarkeit kombinierter Greif- und Sehleistungen beliebiger Tätigkeiten im Alter erproben kann und dabei aussagekräftige Ergebnisse für Bedingungen erhält, für die es noch keine Messwerte aus Reihenuntersuchungen gibt. Mit dem auf eine Alterung von 40 Jahren eingestellten  Altersanzug von SD&C erhalten so 20- bis 40-jährige Ergebnisse für ein Alter von 60 bis 80 Jahren.

 

Simulation der gealterten Sehens

Das Altern des Sehens ist ein komplexer Prozess und umfasst mehrere ergonomisch relevante Funktionen.

Patent für einen Alterssimulationsanzug von SD&C 2010. Abb. 4: Patent von SD&C für einen Alterssimulationsanzug 2010.

Die wichtigste Funktion ist 1) die Veränderung der Sehschärfe, die sich bei den meisten Menschen hin zur Altersweitsichtigkeit (Presbyopie) entwickelt, und die ein Brilletragen für das Lesen und Erkennen von Details im Nahbereich nötig macht. Der Prozess kann schon in jungen Jahren soweit fortgeschritten sein, dass eine Brille erforderlich ist, im Alter von 50 Jahren benötigt praktisch jeder Erwachsene eine Lesebrille. Weitere Alterungsfaktoren sind 2) ein verändertes Farbensehen, 3) ein erhöhter Helligkeitsbedarf, 4) eine Einschränkung des peripheren Sehens und 5) bei vielen eine leichte Maculadegeneration.

Die Simulationsoptik des SD&C Senior Suit Delta 2 ist die derzeit einzige Simulationsoptik weltweit, die die Sehschärfealterung mit speziell dafür geschliffenen Gläsern über zwei Stufen von je 20 Jahren genau zu simulieren vermag. Die meisten Alterssimulationsbrillen auf dem Markt stellen die Alterung über eine Diffusionsschicht oder mit teildurchsichtigen Okklusionsfolien dar, was aber eher dem Krankheitsbild des sog. „Grauen Stars“ (Katarakt, Hornhauttrübung) entspricht. Die Simulationsoptik von SD&C dagegen brachte in Lesetests jüngere Personen genau dahin, wo 40 Jahre ältere Personen mit ihrer Sehschärfe waren. Die Anwählbarkeit einer Alterung von 20 und von 40 Jahren über ein herunterklappbares Visier der Simulationsoptik resultierte auch aus einer praktischen Notwendigkeiten beim Einsatz, weil bei manchen Personen die Sofortalterung der Sehschärfe zu Schwindelgefühlen und Übelkeit führt. Erst nach einer Gewöhnungszeit von ein paar Minuten können sie die Veränderung ertragen. Außerdem erlaubt die geringere Stufe von nur 20 Jahren eine realistische Simulation auch für ältere Personen die dann nicht mehr so starke Weiterverschlechterungen zu erwarten haben.

 

Die Alterssimulation des verringerten Hör- und Tastsinns 

Hör- und der Tastsinn nehmen über das Alter einen grob ähnlichen Verlauf wie das Sehen. Beim SD&C Senior Suit Delta wird die Einschränkung des Tastsinns mit Handschuhen und die Verminderung des Hörens mit elektronischen Gehörkapseln simuliert. Weil über ein Drittel der Älteren Ohrgeräusche haben, wurde in die Gehörkapseln für den Senior Suit ein Rauschton-Tinnitus eingebaut, der über einen Drehknopf in der Lautstärke verändert oder abgeschaltet werden kann. Mit voll aufgedrehtem Tinnitus ist es praktisch unmöglich, Gesprächen in der Umgebung zu folgen, und die Alterssimulation schlechteren Hörens erhält so eine weite Variationsmöglichkeit über den ganzen Bereich des Verstehens bis zur völligen Schwerhörigkeit. Die Sprachverständlichkeit in bestimmten Situationen kann durch die Intensität der Einstellung direkt gemessen und verglichen werden.

 

Die Alterssimulation der verringerten Kraft

Die muskuläre Kraft des Menschen zeigt über das Lebensalter hinweg einen anderen Verlauf als die Leistung der Sinnesorgane. Sie steigt bis zu einem Maximum im Alter von etwa 30 Jahren an, und ihr Durchschnittswert nimmt dann kontinuierlich ab, bis dem Menschen im Alter von 70 Jahren nur noch etwa halb so viel Kraft zur Verfügung steht. Einige Simulationsanzüge haben versucht, die im Alter verlorene Kraft durch elastische Elemente zu simulieren (vgl. Abb. 2 und 3), doch die korrekte Positionierung auf unterschiedlichen Körpern erwies sich als schwierig, unter Spannung neigen die Gummis dazu, aus den für sie vorgesehenen Positionen zu schnappen, und die freien Gurte blieben im Einsatz leicht an Türgriffen oder ähnlichem hängen und gefährdeten so die Testpersonen. Die meisten Age Suits simulieren die nachlassende Kraft deswegen mit eng am Körper anliegenden Zusatzgewichten. Beim SD&C Senior Suit Delta 2 können die die Kraft mindernden Extremitätengewichte jeweils passend dosiert und an den individuellen Körperpositionen korrekt und stabil positioniert werden. Der SD&C Senior Suit Delta 2 erlaubt mit den veränderbaren Gewichten in der Weste und an den Extremitäten eine Anpassung an schwächere Frauen und an die individuelle Kon­stitution. Die Senior Suits können so auch Jugendlichen angelegt werden, denn die Simulation kann auf die nicht lineare Verlaufsform der Kraft über das Alter eingehen. Für den Jugendlichen bedeutet eine Alterung um 20 Jahre nämlich  keinen Kraftverlust, sondern eine Kraftsteigerung, und erst in hohem Alter wird seine Kraft dann wieder abgesunken sein.

 

Die Alterssimulation von Beweglichkeitseinschränkungen

Die zunehmenden Einschränkungen der Greifbereiche im Stehen und Sitzen aufgrund der geringeren Beweglichkeit stellen die mit eindrucksvollsten Ergebnisse in den Untersuchungen mit Älteren dar und haben inzwischen schon zu vielen Anpassungen geführt. Der Alterssimulationsanzug vermittelt der tragenden Personen hier schnell ein intuitives Bild der Einschränkungen im Alter. Die ersten Simulationsanzüge simulierten die Bewegungseinschränkungen von Gelenken mit Orthesen, die den Öffnungswinkel begrenzten. Untersuchungen an Senioren zeigen jedoch, dass bei den Arm- und Beingelenken die Verkleinerung des Öffnungswinkels eher unbedeutend ist und hier eher durch arteriosklerotische Veränderungen eine gleichmäßige Einschränkung über den gesamten Bewegungsbereich besteht. Die SD&C Senior Suits simulieren deswegen eine entsprechende Gelenkveränderung mit Manschetten, die ein gleichmäßiges Erschweren der Bewegung abbilden. Zusätzlich ist der Overall so genäht, dass er das Anheben der Arme erschwert ist.

 

Explosionsbild des SD&C Senior Suit Delta

Abb. 5: Der SD&C Senior Suit Delta und seine Komponenten.

Kognitive Faktoren

Ergonomisch relevant sind auch die kognitiven Veränderungen mit zunehmendem Alter. Hierbei sind die liquiden von den kristallinen Intelligenzveränderungen zu unterscheiden. Zu den ersteren zählt vor allem eine erhebliche Veränderung der Reaktionsgeschwindigkeit, d.h. wo Jüngere mit 20 Jahren in 200 msec reagieren, benötigen manche Ältere bis zu 800 msec. Frauen sind dabei durchschnittlich noch etwas langsamer als Männer. Auf der kristallinen Seite der Intelligenz sieht es besser aus, und soweit die Gerätegestalter berücksichtigen würden, dass Ältere „altmodischer“ denken, stände der Teilhabe Älterer am modernen Leben nichts im Wege [5]. Wenn Ältere geistig im Training bleiben, können insbesondere Künstler und Schriftsteller bis ins hohe Alter damit fortfahren, nicht nur gut zu sein, sondern sogar noch besser zu werden.

Das Tragen der Simulationskomponenten führt in der Summe zu sekundären kognitiven Effekten wie verringerter Balance, Koordination und Umsicht, und da die kristalline Intelligenz im Alter erhalten bleiben kann, wird durch die Alterssimulation generell ein gesunder Alterungsprozess so dargestellt, wie er für jeden positiv verlaufen könnte. Das Begehrtsein der Alterssimulation auf allen Events mag deswegen auch daher rühren, dass sich jeder genau dieses Älterwerden wünscht.

 

Fußnoten

[1] B. Kraus und H.J. Kaiser: Weniger Unfälle bei älteren Autofahrern. Institut für Psychogerontologie der Universität Erlangen, 2008.

[2] ISO 20282: Ease of Operation of Everyday Products. ISO Genf, 2007.

[3] R. Schoeffel: Ampel-Gelbphasen zu kurz für ältere PKW-Fahrer. Fachzeitschrift für Polizei- und Verkehrsmanagement, 01/2012.

[4] Gebrauchsmuster und Patent DE 102 33 706 A1 von Fr. Dr. Brieden aus Hilden 2004.

[5] R. Schoeffel: Human-friendly products. ISO Focus Magazin, ISO Genf, Volume 4, No 9, 2007.

 

Autor/Impressum

Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. Roland Schoeffel

SD&C GmbH (http://www.sdxc.de)

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